Kompetenzmodell für diversitätssensible Bildungsarbeit mit digitalen Medien
Durch ein Kompetenzmodell wird es möglich, diversitätssensible Ansätze für Bildungskontexte nutzbar zu machen.




Kompetenzmodell für diversitätssensible Bildungsarbeit mit digitalen Medien
Durch ein Kompetenzmodell wird es möglich, diversitätssensible Ansätze für Bildungskontexte nutzbar zu machen. Im Folgendem wird ein Kompetenzmodell vorgeschlagen, das aus den Dimensionen
- Selbstkompetenz,
- Sozialkompetenz,
- Fachkompetenz und
- Methodenkompetenz
besteht und für diversitätssensible Bildungskontexte eingesetzt werden kann.
Selbstkompetenz
Mit Bezug auf Hohm ist die Selbstkompetenz über „die Wahrnehmung und Bedeutung der eigenen Diversi- tät und die individuelle Reflexion des eigenen Umgangs mit den Studierendenund deren Vielfalt“ (Hahm 2015, S. 19) definiert. In anderen Worten: Selbstkompetent ist durch die Reflexionen der eigenen Vorurteilsstruktur geprägt. Durch diese kritische Reflexion können eigene Wahrheitsansprüche/Glaubenssätze/Geschmacksurteile etc. eingeklammert werden. Hierdurch wird eine differenzsensible Öffnung gegenüber anderen Lebensmodellen und den heterogenen Lebenswelten von Studierenden, anderen Lehrenden etc. möglich. Aus hochschuldidaktischer Perspektive ergibt sich die Möglichkeit, auf „Chancen und Barrieren vielfältiger Zielgruppen aufmerksam“ (Hahm 2015, S. 18) zu werden. Durch eine diversitätssensible Selbstkompetenz können Handlungsstrategien entwickelt werden, um über „mehrdimensionale bzw. vielfältig gestaltete Lernräume zielgruppen- orientierte Lernprozesse“ (Hahm 2015, S. 18.) zu ermöglichen. Zusammengefasst führt die Selbstkompetenz zu einer diversitätssensiblen Welt- und Selbstreflexion, die es ermöglicht, die Konstruiertheit sozialer Identitäten zu erkennen. Der Anschein der ‚Unveränderlichkeit‘ sozialer Kategorien kann damit erkenntniskritisch eingeklammert werden.
Sozialkompetenz
Die Sozialkompetenz wendet diese Form der differenzsensiblen Reflexion auf die sozialen Kontexte der Hochschullehre an. Dies beinhaltet, „dass Lehrende ebenso für Gruppenprozesse, deren Heterogenität und mögliche Konflikt- bereiche sensibel sein müssen“ (Hahm 2015, S. 19). Für die Hochschullehre liegt die Zielorientierung einer solchen diversitätssensiblen Sozialkompetenz in der „Förderung einer wertschätzenden Diskussionskultur und einer kooperativen Zusammenarbeit, die möglichst alle Teilnehmenden einbezieht und eine dis- kriminierungsfreie Kommunikation und Interaktion fördert“ (Hahm 2015, S. 19.). Mit einem solchen Verständnis diversitätssensibler Sozialkompetenz ist auch eine Redefinition der Rolle der Lehrenden verbunden: „Lehrende ste- hen den Studierenden vermittelnd und beratend zur Seite und unterstützen eine
wertschätzende Peerkultur, die soziale Inklusionsprozesse stärkt und auf Kooperations- und Konfliktfähigkeit setzt und diese ausbaut“ (Hahm 2015, S. 19).
Fachkompetenz
Die Fachkompetenz umfasst diversitätsbezogenes Fachwissen. Dar- unter zählt ein „Grundverständnis […] was unter Gender und Diversity zu ver- stehen ist und mit welchem politischen Impetus diese Schlagwörter verbunden sind“ (Bouffier et al. 2014, S.61). Dieses Grundverständnis bzw. diversitätsbezogene Fachwissen soll dabei mit Bezug auf „die eigenen Fachinhalte hin- sichtlich möglicher Stereotypen oder Diskriminierungen“ (Hahm 2015, S. 18) reflektiert werden. Zudem gehört zur Fachkompetenz das Wissen über „(hoch- schul-)politische Zielsetzungen und Maßnahmen in Hinblick auf Diversity- Management, Chancengerechtigkeit und Antidiskriminierung“ (ebd.). Im weitesten Sinne lässt sich Fachkompetenz als ein ‚Diskurswissen in Practice‘ verstehen.
Methodenkompetenz
Diese Kompetenzdimensionen. Entfalten sich in der Methodenkompetenz.
Methode lässt sich hier als Art und Weise der Lehrgestaltung definieren. In die Lehrgestalten werden Selbst-, Sozial – und Fachkompetenz integrativ eingebunden. Hierfür gilt es Lehr-/Lernform zu entwickeln, die es ermöglichen, angemessen den Anforderungen von Selbst-, Sozial- und Fachkompetenz zu entsprechen. Es empfiehlt sich hier auf partizipative, kollaborative Lehrformate zurückzugreifen, in denen sich individuelle Beschränkungen in einem Dialog auflösen. So rät Lummerding (2014) zu hochschuldidaktischen Strategien, welche die „Denkmöglichkeiten erweitern“ (vgl. Lummerding 2014, S. 55). Es gilt, Hochschullehre „nicht auf die Vermittlung gegebenen Wissens zu reduzieren, sondern vielmehr als kontingente Herstellung von Wissen zu verstehen […] als ergebnisoffener und unab- schließbarer Prozess des Ausverhandelns einer Vielzahl unterschiedlicher Positionen und Interessen, zu dessen Gestaltung und Wirkung alle Beteiligten entscheidend bei- tragen (Lummerding 2014, S. 48).
Konkret lässt sich an die ‚neuen Formen des Lehrens‘ (Bouffier 2015, S. 61) wie das problembasierte oder forschende Lernen anknüpfen. Diese Lehr-/Lernformen setzen auf eine konstruktivistische Studierendenpartizipation und basieren auf der Annahme, dass Studierende eigenverantwortlich und selbstgesteuert, intrinsisch motiviert sowie dialogische miteinander Wissen konstruieren. Die kollaborative, dialogische Ausrichtung dieser Lehrformen ermöglicht es, dass durch die Vielfalt bzw. Diversität der Studierenden vielfältige Perspektiven auf Lehrgegenstände eingenommen werden können. Die hieraus resultierende Multiperspektivi- tät ermöglicht es, Beschränkungen, die sich aus einer identitätsspezifischen Sichtweise ergeben, aufzuheben. Im dialogischen Austausch geraten diese individuellen Wissensbestände im Sinne Lummerdings in Bewegung, neue Wissensformen entstehen. Zudem bieten handlungs- und produktionsorientierte Formate wie das problembasierte und das forschende Lernen die Möglichkeit, durch eine authentische Orientierung an den Herausforderungen, Aufgabenstellungen und Problemlagen der zukünftigen Arbeitswelt der Studierenden den „didaktische[n] Anspruch von ‚Employability (Erwerbsfähigkeit) durch das ‚Medium der Wissenschaft‘“ (Senger 2014, S. 40) einzulösen.
Einbindung von digitalen Medien
Gerade partizipative, kollaborative Lehrformate können durch die Spezifik digitaler Medialität angereichert werden. Die Spezifik digitaler Medialität, also die spezifische Art und Weise digitaler Informationsproduktion und Vermittlung, ermöglicht es, dass sich individuelle Beschränkungen in einem Dialog auflösen. In anderen Worten: Digitale Medien ermöglichen es, dass jeder an jeden Informationen sendet und jeder auf diese Informationen wiederum antworten kann.
Diese Kommunikationspartner sind dezentral miteinander vernetzt.
Dezentral meint hier, dass das Netzwerk kein Zentrum besitzt. Dabei muss ein Netzwerk nicht geschlossen sein: Durch das Internet besteht die Möglichkeit, dass Menschen sich miteinander vernetzen. Diese Merkmale digitaler Kommunikation ermöglichen anders als es Bücher können ein kollaboratives Lernen. Das Wort „kollaborativ“ (von dem lateinischen Wort „collaborare“/ lässt sich mit „zusammenarbeiten“ übersetzen.
Durch digitale Medien kann kollaborativ in Lehr-/Lernprozessen gearbeitet werden. Beim kollaborativen Arbeiten findet bei jedem Arbeitsschritt eine dialogische Ausei- nandersetzung statt. Gerade die dialogische Zusammenarbeit führt in der Regel zu Arbeitsergebnissen mit hoher Qualität und steigert auch die Qualität des Lernerlebens (Kergel/Heidkamp 2015).
Zusammenfassung
Vor dem Hintergrund dieser kommunikationstheoretischen Überlegungen in Bildungskontexten können folgende Eckpunkte einer diversitätssensiblen Bildungsarbeit mit digitalen Medien identifiziert werden. Diese Punkte erfordern wiederum didaktische Fähigkeiten und Fertigkeiten, die das Kompetenzmodell formuliert.
- Den Akteuren sollten Anlässe geboten werden, um intrinsische Neugier im sozialen Kontext (weiter) auszubilden. (Soziakompetenz)
- Dieser soziale Kontext sollte durch eine dialogische Kommunikationskultur geprägt sein und dafür dialogische Potenzial digitaler Medien nutzen. (Methodenkompetenz)
- In der Auseinandersetzung mit Medien durch Medien empfiehlt es sich, dass Pädagog*innen als mäeutische Begleiter*innen fungieren und eine strukturierte Offenheit ermöglichen. (Methodenkompetenz & Fachkompetenz)
- Das der intrinsischen Motivation zugrunde liegende Erkenntnisziel soll weder durch mediale Einschließungen noch durch Rollenerwartungen eingeschränkt sein, die sich aus sozialen Kategorien ergeben. (Methodenkompetenz, Sozialkompetenz & Fachkompetenz
Literatur
- Bouffier, A., Kehr, P., Lämmerhirt, M., & Leicht-Scholten, C. (2014). Spätes Erwachen an deutschen Hochschulen: Die „Entdeckung“ der Lehre und Berücksichtigung von Gender und Diversity. In C. Tomberger (Hrsg.), Gender- und Diversity-Kompetenzen in Hochschullehre und Beratung: Institutionelle, konzeptionelle und praktische Perspektiven (S. 53-68). Hildesheim: Universitätsverlag Hildesheim.
- Hahm, E. (2015). Diversity-Kompetenz im Bereich der Hochschullehre – Ein zentraler Baustein hochschuldidaktischer Lehrkompetenz. In Greifswalder Beiträge 2/2015, 7-21.
- Kergel, D. & Heidkamp, B. (2015). Forschendes Lernen mit digitalen Medien. Ein Lehrbuch. #theorie #praxis #evaluation. Münster: Waxmann.
- Lummerding (2014). Diversifizieren. Zur Interrelation der Produktion von Wissen und der Produktion von Differenz. In D. Heitzmann & U. Klein (Hrsg.), Diversity konkret gemacht. Wege zur Gestaltung von Vielfalt an Hochschulen (S. 45-60). Weinheim: Beltz/Juventa.
- Senger, U. (2014). Diversity-Kompetenz für die Hochschule. In C. Tomberger (Hrsg.), Gender- und Diversity-Kompetenzen in Hochschullehre und Beratung: Institutionelle, konzeptionelle und praktische Perspektiven (S. 35-53). Hildesheim: Universitätsverlag Hildesheim.